Die Acta Francorum sind ein sehr persönliches Projekt, weil es dabei auch um eine Rückkehr an die Orte und zu den Geschichten meiner Kindheit geht. Ich bin dabei besonders inspiriert von Didier Eribons autobiographisch-soziologischem Buch Rückkehr nach Reims (Retour à Reims), das ich im Jahr 2016 mit großer Begeisterung gelesen habe – und von dem schwer zu sagen ist, ob es sich um ein wissenschaftliches Buch, um eine autobiographische Reflexion, oder um beides zugleich handelt: einerseits lässt uns der Autor gesamtgesellschaftlich relevante Zusammenhänge wie Rechtsruck, Klassenattitüde und Homophobie verstehen – andererseits ist es aber eine äußerst persönliche Rückreise in die eigene Vergangenheit, soziale Herkunft, an den Geburtsort und zur Familie. Für mich war der von Eribon verwendete, gemischte Stil des Personal Essays eine Offenbarung: genau diese Form des essayistischen, denkenden Schreibens – mit der ich wissenschaftlich schreiben darf, aber nicht muss – ist mein Genre.
Aber auch ein bisschen mehr als das… Als Historiker, der seit genau zwanzig Jahren nicht mehr in Franken wohnte, hatte ich mich bisher hauptsächlich mit Südosteuropa und Anatolien beschäftigt (genauer unter Autor): doch das hieß ja keinesfalls, dass ich keine persönlichen Essays über Franken schreiben könnte, wohin ich regelmäßig fahre und wo ich mich oft für längere Zeit aufhalte. Außerdem war man in meiner wissenschaftlichen Umgebung auch immer dazu angehalten, über die eigene Positionalität, Situativität und Perspektive zu reflektieren – wofür aber die Einleitungen wissenschaftlicher Texte gleichzeitig nie ganz der richtige Ort waren. Für diese Art von Texten nutze ich daher auch den Blog; doch die Flüchtigkeit des Blog-Formats erschien mir bei all den Erinnerungen, die nun in mir zu arbeiten begannen, heraus drängten und sich mit anderen Themen verbinden wollten, bald unangemessen. Deshalb beschloss ich, dass es ein Buch geben sollte. Im Gegensatz zur gerade erst abgeschlossenen Dissertation sollte dieses Buch jedoch ohne schmerzhaften Zeitdruck wachsen dürfen.
Wer aber durch meinen erwähnten Hintergrund als Historiker in den Acta Francorum eine allumfassende Geschichte Frankens sucht, wird enttäuscht sein: es geht um eine Selektion persönlich gewichteter Themen, die meistens in prägenden Erinnerungen wurzeln und dadurch sowohl geschichtliche, als auch zeitgenössische und in die Zukunft gerichtete Bezüg herstellen. Ich nutze dabei die Möglichkeit des Rückblicks auf einen längeren Zeitraum bis in die 1980er Jahre – aber auch die Effekte der Entfremdung, der (Rück-)Reise und der Reiseeindrücke. Darüber beschreibe ich Entwicklungen und Tendenzen – z.B. die Energiewende, die Rolle der Religion, Ab- und Aufwertung des ländlichen Raums in den öffentlichen Meinungen usw. – als längere Prozesse, welche die gesamte Gesellschaft betreffen. Besonders bei der Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte Frankens und ihres grausamen Verlaufs während der Shoah ist mir erneut klar geworden, dass die intensive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus während meiner Jugend in Franken ziemlich direkt mit meiner späteren Berufswahl und den Themen meiner wissenschaftlichen Arbeit zu tun hat.