Bereits im Sommer 2017, den ich in Franken verbracht habe – angeblich, um meine Dissertation abzuschließen – wurde mir klar, wie sehr wir die Landschaft verändert haben: es wächst jetzt sogar in höheren Lagen Mais, der unseren Energiebedarf stillen soll. Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld ist inzwischen eher Kulisse: eine, die weiterhin mit den Wörtern Brennstäbe, Strontium, Cäsium, Iod, Tschernobyl und Fukushima droht. Im pandemischen Herbst 2020 liegen die trockensten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hinter uns. Im Francorum hat das bewirkt, dass inzwischen riesige Holzstapel in sogenannte Holzquarantäne geraten sind. Diesen landschaftlichen, naturräumlichen und technologischen Veränderungen gehe ich im ersten Herbstkapitel nach.

Im zweiten Unterkapitel nehme ich zuerst die Spur einer Haßfurter Lokalhistorikerin auf und erkunde das fränkische Landjudentum in Kleinsteinach und Burgpreppach, wo ich außerdem ein ganz erstaunliches Privatarchiv einer weiteren Lokalhistorikerin besuchen darf. Die jüdische Präparandenschule in Burgpreppach hatte Anziehungskraft bis in die jüdischen Gemeinden des Russischen Reichs, die Schweiz und den Elsass; daneben prosperierte eine jüdische Brotfabrik (Matzenbäckerei), die Anfang des 20. Jahrhunderts beinahe einen eigenen Bahnanschluss bekommen hätte. Diese und viele weitere, heute vergessene Geschichten zeigen, dass Franken auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands eine Ausnahme war: nur hier gab es Dörfer (und nicht „nur“ Städte, wie im übrigen Deutschland), die eine beträchtliche jüdische Bevölkerung hatten — bis zum größten Genozid des 20. Jahrhunderts auf diesem Gebiet, die Shoah.

Im letzten Herbstkapitel beginne ich zu fasten und nehme 49 Tage lang kein festes Essen mehr zu mir. Dabei reflektiere ich über die alte Fastenzeit des Advents, der heute zu einem wochenlangen Konsumrausch geworden ist. Wie ein großer, kapitalistischer Potlatsch zelebriert sich der Überfluss selbst — und setzt Menschen zusätzlich unter Druck, die von staatlichen Transferleistungen leben müssen. Damit schließt sich der Jahreszyklus in der Zeit zwischen den Jahren. Du musst fort von hier — sagt eine altbekannte Stimme. In Berlin wartet eine verwaiste Wohnung: die Acta Francorum sind schließlich einer von vielen Abschnitten eines Lebens — welches, außerhalb der pandemischen Rückzüge nach Franken, hauptsächlich in Berlin stattfindet.