Dieser Beitrag könnte mit der Überschrift „Rückkehr nach Franken“ beginnen. Es ist nämlich so, dass ich mir am gestrigen Tag mit dem palindromischen Datum 02.02.2020 nach vielen Jahren wieder einmal die jährlich stattfindende Theateraufführung der Friesenhäuser Laientheatergruppe „Fahrende Gaukler“ angesehen habe. Friesenhausen heißt der Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Um diesen Abend im Laientheater geht es in diesem Beitrag, in dem ich aber gleichzeitig noch weiter ausgreife, um mich in einer einfachen Figurationsanalyse zu versuchen, die nach Belieben weiter ausbaubar und mit weiteren Inhalten füllbar wäre.
Durch meine langen Abwesenheiten aus Franken, wo ich seit 20 Jahren nicht mehr wohne, bin ich keinesfalls in der Position, als besonders „guter Kenner“ dieses dörfliche Laienschauspiel zu beschreiben. Alle Beteiligten gehen dem Theater offensichtlich mit allergrößtem Engagement nach, was Respekt verdient. Ich hoffe in diesem Sinne, dass auch dann nicht der Eindruck entsteht, ich würde in irgendeiner Weise überheblich oder verächtlich auf das gesamte Phänomen des Theaters blicken, wenn ich versuche, Distanz herzustellen. Es kann natürlich auch sein, dass mir Fehler unterlaufen, denn ich schreibe an diesem Beitrag erst seit heute, und ich werde vor der Veröffentlichung auf meinem Blog voraussichtlich keine Zeit haben, ihn noch einmal von einem der am Theater mitwirkenden gegenlesen zu lassen.
Meine Hauptquelle für diesen Essay ist mein gestriger Theaterbesuch. Allerdings habe ich daneben zwei zusätzliche Quellen in die Betrachtung einbeziehen können: erstens kenne ich das Laientheater aus meiner Kindheit und frühen Jugend noch, so dass ich eigene Erinnerungen mit einfließen lassen kann – besonders, wenn es um die hier nur gestreifte Frage geht, was sich im Dorf seit den 1980er Jahren verändert hat. Zweitens habe ich in all den Jahren aus der Ferne, zumindest oberflächlich, trotzdem jedes Jahr mitbekommen, dass es in Friesenhausen jährlich eine Theatersaison gab, die so einige Menschen auf Trab hielt: ich kenne nämlich ein paar der Schauspieler persönlich, aber besonders gut kenne ich den Regisseur und Souffleur, Robert Markert, den ich quasi zur Familie rechne.
Robert Markert ist seit der ersten Aufführung der Fahrenden Gaukler im Jahr 1984 dabei. Viele der Hintergrundinformationen, die hier auftauchen werden, entspringen seinem persönlichen Gedächtnis, und so können sie als „oral history“ Quellen angesehen werden. Außerdem verfügt Robert Markert über ein ordentliches Privatarchiv, das er mir zur Verfügung gestellt hat. Darin – im wesentlichen bestehend aus einem prall gefüllten, dicken Leitz-Ordner – finden sich eine selbstgeschriebene Chronik über die ersten Jahre der Laientheatergruppe, die einer der Schauspieler verfasst hat, zahlreiche Zeitungsartikel aus der lokalen Presse, alte Programmhefte der Aufführungen, Fotos, die Laudatio einer Preisverleihung, sowie weitere Dokumente. Nicht gesichtet habe ich Videoaufnahmen der Aufführungen der letzten Jahre, die ihm ebenfalls als DVDs vorliegen.
Besonders die jährlich erschienenen Zeitungsartikel sind aufschlussreich über die Rezeption des Laientheaters in der weiteren Öffentlichkeit. Sie geben auch die Stimmung wieder, wie sie auf den jeweiligen Journalisten gewirkt hat, wobei es sich fast in allen Fällen um zwei Journalisten gehandelt hat. Meine Primärquelle bilden aber meine eigenen Beobachtungen, die ich gestern Abend gemacht habe.
Als Außenstehender könnte man natürlich fragen, wie relevant ein solcher Aufsatz über das Laienschauspiel in einem unterfränkischen Dorf ist. Wie so vieles, so ist auch dies eine Frage der Perspektive, die sich schnell ändert, sobald man den jeweils „üblichen“ Standpunkt verlässt. Aus der Perspektive der Dorfbewohner Friesenhausens, der Mitglieder des lokalen Sportvereines, der Theatergruppe selbst, aber auch aus Sicht zahlreicher Besucherinnen stellt sich die Frage der Relevanz nämlich wahrscheinlich überhaupt nicht. Die teilnehmenden Schauspielerinnen und andere Beteiligte in Friesenhausen stellen zwischen November und Februar ihre Urlaubsplanung auf das Theater ein, und auch andere Aktivitäten werden so geplant, dass die regelmäßigen Proben und Aufführungen eingehalten werden können – alles ehrenamtlich. Robert Markert hat mir gesagt, dass die Theatersaison eigentlich eine eigene Jahreszeit für sich sei, so wie man das auch von Karnevalisten hören kann. Und wie noch zu sehen sein wird, gibt es einen mehr oder weniger direkten Zusammenhang zwischen der Faschingszeit (wie der Karneval in diesem Teil Unterfrankens genannt wird) und der Theatersaison.
Das Theaterstück als Figuration
Mich persönlich reizt die Betrachtung der dörflichen Theaterbühne und ihr „drumherum“ außerdem noch aus einem anderen Grund: ein Theaterstück, die Bühne, die Schauspielerinnen, der weitere Kontext des Dorfes und der Region – das alles bietet sich perfekt an, um die Begriffe der „Figuration“ und der „Figurationsanalyse“ in einer (für mich) neuen Weise zu verwenden. Mit denselben theoretischen Begriffen bin ich auch an meine erst kürzlich abgegebene Dissertation herangetreten – wenn auch in einem sehr viel weiteren Rahmen und ohne eine konkrete Theaterbühne; stattdessen habe ich in einem Kapitel auch TV-Serien analysiert, was der Theaterbühne andererseits wieder sehr nahe kommt.
Aber keine Angst vor den Begriffen! Ich habe mir nämlich vorgenommen, diesen Beitrag so zu schreiben, dass ihn möglichst jeder verstehen kann, ohne mit sozialwissenschaftlichen Begriffen wie „Figuration“ oder „Figurationsanalyse“ vertraut sein zu müssen oder sie je vorher gehört zu haben. Weil ich den Begriff der „Figuration“ trotzdem so ungemein hilfreich finde, will ich kurz erklären, was ich darunter verstehe, und wie er vor mir in der Soziologie verwendet worden ist.
Ich habe den Begriff von dem in der Nazizeit aus Deutschland geflohenen Soziologen Norbert Elias übernommen, der ihn nicht in allen seinen Arbeiten auf exakt dieselbe Weise verwendet hat: oft hat er auch den Begriff des Prozesses oder der Prozesssoziologie gebraucht. Am bekanntesten ist sein zweiteiliges Buch „Der Prozeß der Zivilisation“, in dem er unter anderem beschreibt, wie sich über mehr oder weniger lange Zeiträume die Tischsitten, die Manieren und die Höflichkeit verändert haben. Was vor dreihundert Jahren noch völlig normal war, konnte vor einhundertfünfzig Jahren schon ziemlich unanständig sein, und diese Veränderungen betrachtet er als Prozess. Wenn Elias von „Prozeß“ geschrieben hat, dann hat er immer damit gemeint, dass die Dinge nie einfach so waren, wie sie waren, sondern dass es immer ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren gab, wodurch sich „die Dinge“ und „die Ordnung“ in eine bestimmte Richtung verändert haben.
Diese Faktoren – darunter Einzelpersonen, Wetterphänomene, Ereignisse, Handlungen usw. – kann man auch als „Figurationen“ bezeichnen. Eine Figuration wiederum besteht aus einzelnen Figuren. Was eine Figur ist, weiß jeder: zum Beispiel eine Schachfigur auf dem Schachbrett, wie etwa eine Dame, die in einem bestimmten Verhältnis zu allen anderen Figuren des Schachspiels steht: manchen gegenüber scheint sie haushoch überlegen, etwa den Bauern, während ihr andere, wie etwa der Turm, schnell sehr gefährlich werden können. Über den Verlauf des Spiels – den Prozess – entscheidet aber in jedem Fall nicht sie alleine, sondern das Zusammenspiel unterschiedlicher Figuren: die gesamte Figuration.
Im Fall des Theaterensembles der Fahrenden Gaukler in Friesenhausen lässt sich der Figurationsbegriff auf unterschiedliche Arten anwenden: zum einen kann damit auf die Entstehungsgeschichte der Tradition des Theaterspiels in Friesenhausen geblickt werden – also den geschichtlichen Prozess und die daran beteiligten Faktoren („Figuren“/„Figurationen“). Zum Anderen kann man auch einfach dem Theaterstück „Der Faschingsmuffel“ zuschauen, wie ich es gestern getan habe, und die Figuren auf der Theaterbühne betrachten, die natürlich mehr als nur einfache Figuren sind: es sind auch echte Personen, die auf ihre je eigene, persönliche Art und Weise sprechen, spielen, agieren.
Mit einer Betrachtung der Figuren auf der Theaterbühne kann aber noch viel mehr als die fiktive, innere Logik des Spiels verstanden werden. Wie ich am Ende dieses Textes noch versuchen werde, aufzuzeigen, können bestimmte Verhaltens-, Redens- und Handlungsweisen der abstrakten Figuren des Spiels, die Namen und Titel wie „der Hammelwirt“, „Helene“, „der Bürgermester“, „die Oberregierungsrätin“ usw. tragen, durchaus etwas über die „echte“ soziale Welt außerhalb des Theaterspiels aussagen, wenn auch eher indirekt.
Bevor ich mich aber der Bühne nähere, will ich ein paar Wahrnehmungen aus dem Eingangsbereich des Veranstaltungsortes schildern. Ich als Autor bin in gewisser Weise außerdem auch selbst eine „Figur“ der „Figuration“, obwohl ich die Bühne nicht betreten werde.
Rückkehr nach Friesenhausen
Früher, in den 1980er und frühen 1990er Jahren, waren wir Kinder des Dorfes jedes Jahr eingeladen, die Generalprobe der Fahrenden Gaukler zu besuchen. Das stellte für uns eine ganz besondere Veranstaltung dar, da sie eigentlich eine Sache der Erwachsenen war. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass wir so etwas wie einen „Fankult“ betrieben hätten. Allerdings galten bestimmte SchauspielerInnen schon immer als ganz besonders begabt und lustig.
Doch im Eingangsbereich des Gebäudes des Sportvereins am Sportplatz, wo jetzt im Gegensatz zu früher die Theateraufführungen stattfinden, erkenne ich nicht nur Schauspieler wieder, sondern sehe unter den zahlreichen „auswärtigen Gästen“ auch viele bekannte Gesichter. Ich schüttle so einige Hände. Man erkundigt sich gegenseitig nach dem Befinden. Von mir wird in den meisten Fällen diffus gewusst, dass ich in Berlin wohne. Manche fragen auch nach, ob ich nicht noch Istanbul wohne? Irgendwo weit weg bin ich jedenfalls – doch heute Abend bin ich da.
Es sind viele Personen anwesend, die in meiner Kindheit eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Mutter eines Schulfreundes, mit dessen Familie wir auch einmal einen der jährlichen Jugoslawien-Urlaube verbracht haben, kommt zu mir, umarmt mich und gratuliert mir nachträglich zum Geburtstag, an den sie sich erinnert. Auf einmal steht vor mir auch Hugo, der früher der Lebensgefährte meiner Großmutter Olga war, bis diese 1990 starb; ich war da gerade zehn Jahre alt. Er war einmal so etwas wie ein Großvaterersatz für mich und meine Schwester. Mit ihm und unserer Großmutter haben wir 1988, noch bevor die Grenzen zur nahen DDR und zu den Ländern des Ostblocks gefallen waren, einen Urlaub am Plattensee in Ungarn verbracht. Ich war damals zwar erst acht Jahre alt, aber ich erinnere mich noch sehr genau an viele Details: das Hotel in Gestalt eines Doppelhochhauses in einem Ort namens Balatonföldvar, in dem meine Schwester und ich durch das viele Aufzugfahren den Lift kaputt gemacht haben; die Terasse, wo am Abend unsere Busreisegruppe mit Bürgern der DDR zusammensaßen; die Palatschinken- und Maiskolbenverkäufer am Strand; das warme und trübe Wasser des flachen Strandes. Hugo ist über 90 und erkennt mich nicht, bis ich ihm erkläre, wer ich bin, und dass ich vor zwei Tagen auch seine Schwester schon getroffen hätte. Er erkennt mich schließlich wieder.
Meine Mutter hat mich zur Theateraufführung begleitet. Ihr Lebensgefährte, der besagte Robert Markert, schwirrt herum, bevor er sich in die Souffleurskabine vor der Bühne begeben wird. Er war von Anfang an Teil des Theaterensembles, als Vorstand und als Regisseur, wobei vor ihm die Inge souffliert hatte, bis sie einen Autounfall hatte und von dieser Rolle zurückgetreten ist. Die Fahrenden Gaukler sind kein eigener Verein: sie bilden eine Abteilung des Sportvereins Friesenhausen (SV Friesenhausen), der 1946 gegründet worden ist, also sehr unmittelbar nach dem Krieg.
Ich stelle später Robert Markert gegenüber fest, wie erstaunlich ich es finde, dass einige der Schauspielerinnen nun tatsächlich schon seit den 1980er Jahren kontinuierlich mitspielten. Er erzählt mir, dass parallel zum „Erwachsenenensemble“ ein komplettes Nachwuchsensemble bestünde, also parallel zu den Älteren. Eine Herausforderung bestünde darin, beide Ensembles zusammenzuführen, was wahrscheinlich nicht gelingen werde: das junge Ensemble wolle genau so, wie es jetzt bestehe, weiterbestehen, und die Schauspieler wollten in ihrer jetzigen Figuration zusammenbleiben. Viele der jungen Schauspieler seien Kinder der jetzigen Schauspieler. Ohne irgendetwas über diese jüngeren Schauspieler zu wissen stelle ich fest, dass sie wahrscheinlich große Schuhe zu füllen hätten.
Das Dorf inszeniert sich selbst
Die Innenperspektive
Über das Stück „Der Faschingsmuffel“, das in der Saison 2019/2020 und damit am Abend meines Besuches aufgeführt wurde, lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass sich das Dorf damit gewissermaßen selbst inszeniert hat. Dies sei durchaus ungewöhnlich, wie Robert Markert in der Anmoderation des Abends den Gästen gegenüber feststellt: das erste Mal sei es so, dass die Autorin des Stücks selbst aus Friesenhausen komme. Strenggenommen ist diese zwar eine Zugezogene, was in der Anmoderation aber unerwähnt bleibt und auch keine große Rolle zu spielen scheint. Überhaupt stelle ich in einigen weiteren Gesprächen mit Zugezogenen fest, dass die Unterscheidung zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen nicht automatisch eine große Rolle spielt: viele der „neuen Friesenhäuser“ fühlen sich selbst nach eigener Aussage gut integriert und in die Gemeinschaft aufgenommen. Ich meine mich zu erinnern, dass ihr Stand früher nicht ganz so einfach war.
Doch nicht nur die Autorin kommt von hier: auch der Plot, die ganze Story, spielt in Friesenhausen. Allerdings gibt es es zahlreiche Verfremdungen, Fiktionalisierungen und Anpassungen an die Bedürfnisse des Plots. Für „echte Friesenhäuser“ ist zum Beispiel erkennbar, dass der Name des Wirtshauses „Zum Hammelwirt“ eine Anspielung auf die ehemalige, nicht mehr bestehende Gaststätte „Zum weißen Lamm“ ist. Für Außenstehende dürfte dies nicht erkennbar sein. Mitten im Stück wird außerdem die Figur der Helene „hinüber zur Apotheke“ geschickt, um dem „Hammelwirt“ eine Salbe zu holen, obwohl es in Friesenhausen nie eine Apotheke gegeben hat.
Das Theater hat für Friesenhausen und die Friesenhäuser eine große und identitätsstiftende Rolle, was sowohl an der Selbst-, als auch an der Fremdwahrnehmung deutlich wird. Das Logo der Fahrenden Gaukler wirkt identitätsstiftend für die Gemeinschaft: es ist eingewirkt in die Wandverkleidung des Saals neben der Bühne, wobei diese Wandverkleidung auch außerhalb der Theatersaison immer sichtbar bleibt.
Das vor einigen Jahren neu erbaute, imposante Sportvereinsgebäude und seine Geschichte ist außerdem eng mit der Geschichte der Fahrenden Gaukler verbunden. Mir wird gesagt, dass die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern der Theateraufführungen, die vorher in der Gaststätte „Zum weißen Lamm“ stattfanden, eine der Haupteinnahmequellen gewesen seien, die es dem Sportverein ermöglicht haben, das neue Gebäude zu errichten. Doch Vorsicht! Gleichzeitig wird betont, dass dieser Bau allen Vereinsmitgliedern zu verdanken sei, und keineswegs alleine den Fahrenden Gauklern.
Das Gebäude wurde zwar von einigen Firmen gebaut, was besonders Estrich und Heizung betreffe, größtenteils seien die Arbeiten aber von den Mitgliedern des Sportvereins gestemmt worden. Einige von ihnen seien selbst Besitzer von Firmen, die sich wiederum beim Bau engagiert hätten.
Die Bühne an sich sei von der örtlichen Firma Viktor Pendic gebaut worden, die meinem Onkel gehört, der im Jugoslawienkrieg als Flüchtling nach Friesenhausen gekommen ist. An diese Zeit erinnert auch eine Aufschrift auf der Bande am Sportplatz: „Mein Freund ist Ausländer.“ Damals, zur Zeit der Jugoslawienkriege, gab es in Deutschland eine große Welle des Rassismus und der sogenannten „Ausländerfeindlichkeit“, woran ich mich noch gut erinnern kann. Dies betraf aber, zumindest in meiner Erinnerung, eher die Nachrichten in der Tagesschau und die Pogrome in Ostdeutschland, aber auch in vielen Orten Westdeutschlands, wie Solingen oder Mölln. Ich erinnere mich noch an einen Familienausflug nach Thüringen, als meine Mutter (selbst damals noch „Ausländerin“) meinen Onkel bat, möglichst wenig hörbar seine Muttersprache zu sprechen, da mit Feindseligkeiten zu rechnen sei. Wie auch immer begründet oder unbegründet diese Warnung gewesen war: der Satz „Mein Freund ist Ausländer“ an der Bande des Fußballfeldes jedenfalls war ein öffentliches Statement dagegen.
Die Koordination der Theateraufführung und der gastronomische Servicebetrieb wird ehrenamtlich von den Mitgliedern des Sportvereins übernommen. Dafür gibt es sogenannte Springer, Küchenhelfer, Mitarbeiter an der Theke an der Bar, und dazu gehört auch die Koordination des Helferdiensts.
Früher habe parallel zum Theater noch der Fasching stattgefunden, weswegen die Aufführungen am Anfang noch viel früher als heute aufgehört haben. In diesem Jahr findet die letzte Aufführung am 16. Februar statt. Heute gibt es wegen des Theaters keine Faschingsveranstaltungen in Friesenhausen mehr, was auch im Stück „Der Faschingsmuffel“ indirekt thematisiert wird.
Allerdings erklärt mir Robert Markert, dass die „neue Tradition“ des Theaters nicht auf den Faschingsgedanken zurückzuführen sei. Ursprünglich käme das heutige Theater aus der vorangegangenen Tradition der Theateraufführungen anlässlich der Weihnachtsfeiern. Aus diesen heraus seien die Laienschauspiele weiterentwickelt worden.
Die Außenperspektive
Vor der Vorführung am 02.02.2020, als ich mit meiner Mutter am Veranstaltungsort ankam, sah ich einen Bus aus Arnstein mit dem Autokennzeichen Main-Spessart (MSP) auf dem Parkplatz vor dem Vereinsgebäude. Man erklärt mir, dass am heutigen Abend bereits zum zweiten Mal in dieser Saison Gäste aus einem Ort namens Schleerieth anwesend seien, was auch den Bus erkläre. Laut Googlemaps liegt Schleerieth zirka 45 Kilometer entfernt von Friesenhausen, was ein Hinweis auf die weite Strahlkraft des Friesenhäuser Theaterensembles sei, wie mir erklärt wurde.
Die Beliebtheit der Fahrenden Gaukler sei mit den Jahren stetig gewachsen: in der Chronik in Markerts Archiv ist zu lesen, dass das Jahr 1988 „eine Besuchermehrung von 33% gegenüber 1987 aufzuweisen hat. Somit ist der Saal an vier Terminen mit Theaterfreunden gefüllt.“ Diese Besuchermehrung hat sich in den Folgejahren um ein Vielfaches weiter gemehrt: heute finden 25 Aufführungen statt, was auch die Obergrenze der Aufführungen darstelle. Dies bedeute schließlich 25 Mal Probe und 25 Mal Aufführung, was zusammen genommen bedeutet, dass die Beteigten Schauspieler an mindestens 50 Abenden ihre Anwesenheit organisieren müssen. Das sei für eine Laienschauspielergruppe die oberste verkraftbare Grenze des Machbaren. Insgesamt herrschten so vier Monate Theatersaison: November, Dezember, Januar und Februar. Es gebe dabei zwar durchaus auch Spannungen, aber im Großen und Ganzen sei es harmonisch und funktioniere. Auch auf proaktive Bewerbung und Einbeziehung der Presse – die sowieso aus Interesse komme – werde verzichtet: man könnte sonst den Besucherandrang nicht bewältigen.
Ich frage Robert Markert nach den Gästen mit der am weitesten entfernten Herkunftsregion. Aus seiner Sicht sei das der Besuch einer Gruppe von 50 Berlinerinnen gewesen, die damals in Königsberg zu Gast gewesen und auf Empfehlung des damaligen Bürgermeisters Königsbergs in Friesenhausen gelandet seien. Er erinnert sich daran, dass es durch den Dialekt zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen sei: „Wat haben die denn jesagt?“ Ansonsten habe es auch schon Gäste aus Köln, Erlangen Würzburg, Fladungen in der Rhön, Kulmbach in Oberfranken gegeben. Die Ankunft von Bussen, teilweise von Doppeldeckerbussen, sie nichts ungewöhnliches.
Die höchste Auszeichnung des Theaterensembles sei der „Friedrich-Rückert-Preis 2008“ gewesen, der durch den Haßberghauptverein überreicht wurde. Der Name Friedrich Rückert ist eng mit der Region und besonders mit Schweinfurt verbunden, und er dürfte vielen meiner Freundinnen und Freunde in Berlin auch ein Begriff sein. Friedrich Rückert ist durch die Rückert-Gedichte, aber auch als einer der Begründer der deutschen Orientalistik bekannt. Ich bin fasziniert von der Tatsache, dass er angeblich bis zu vierzig Sprachen studiert oder gekannt haben soll, und in seiner nahe gelegenen Heimatstadt Schweinfurt sind ein Gymnasium, Straßen und Denkmäler nach ihm benannt.
Doch woher kommt diese Strahlkraft? Das wird hoffentlich deutlich in den nächsten Abschnitten über den Plot und die Figuren des Stückes „Der Faschingsmuffel“.